Objekt des Monats

aus dem Museum der Sternwarte Kremsmünster

März 2008



Gedenkbuch
Eintrag im Gedenkbuch der Sternwarte vom 7. Sept. 1821
Foto: P. Amand Kraml


"Hungerleider" besuchen die Sternwarte am 7. September 1821

Wie hat der langjährige Adjunkt der Sternwarte, P. Maximilian Schwediauer, einst so trefflich formuliert? "Ein Besuch ist immer eine Freude - entweder wenn er kommt, oder wenn er geht". Nach einem gewissen Zeitabstand kann aber ein Besuch noch eine andere Freude machen. Nämlich - wenn er in einer Reisebeschreibung die Umstände seines Besuches schildert. Eine solche Reisebeschreibung haben wir schon präsentiert und wir hoffen, dass noch die eine oder andere folgen wird. Hier geht es um den Besuch einer Reisegesellschaft am 7. September 1821. Die Reisebeschreibung eines damals noch unbekannten Autors wurde 1982 von Herrn Josef Moser herausgegeben. Jahre später konnte der Herausgeber nach mühsamer Recherche auch den Autor der Reisebeschreibung präsentieren. Es war der 1821 als Hauslehrer in Wien angestellte, bei uns als "Candidat der Theologie aus Bistritz in Siebenbürgen" eingetragene und spätere evangelische Pfarrer Michael Traugott Müller (1799-1875).
Unsere Reisegesellschaft befindet sich auf einer Art Bildungsreise von Wien ins Salzkammergut. Was aus dem Reisebericht nur schwer zu eruieren ist, erhellt sich aus der Eintragung im Gedenkbuch der Sternwarte: Diese Reisegesellschaft setzt sich (zumindest in Kremsmünster) aus folgenden Personen zusammen: Herr Christian von Stetter aus Wien und seine Familie mit Frau Maria Louise von Stetter, den Söhnen Friedrich und Heinrich (Moser vermutet in ihm Heinrich Eurich?) und Christian und Adolph (Letzterer im Reisebericht nicht namentlich angeführt) und dann den Mädchen (als solche öfters angeführt): Rosette (bei Moser der Reisegesellschaft nicht zugerechnet) und Charlotte. Dazu kamen noch Dr. Friedrich Immanuel Eurich und sein 1. Sohn Friedrich Alois (1807-1857 als Fritz angeführt) und natürlich der Berichterstatter Michael Traugott Müller. Von Moser ebenfalls zur Reisegesellschaft werden Dr. Eurichs Gemahlin Frau Anna Maria geb. Gratzl und Luise Eurich angeführt. Sie sind aber im Gedenkbuch nicht eingetragen.
Die Gruppe hatte sich auf der Reise nach Kremsmünster in eine männliche und eine weibliche Abteilung aufgespalten. Die Frauenspersonen kamen mit der bequemeren Fahrgelegenheit früher im Stift an und erhielten hier natürlich auch ein Mittagessen. Die männlichen Reisegenossen kamen nur langsam voran und daher mit leerem Magen nach Kremsmünster. Hier trafen sie auf P. Ulrich Hartenschneider, der aber nicht ahnen konnte, dass die Männer und Buben noch leeren Magens waren. Aus einer Art Bescheidenheit wurden sie zu den "Hungerleidern" in unserem Titel. Und hier kann die authentische Erzählung einsetzten, die wir ein wenig über den eigentlichen Sternwartebesuch hinaus erweitern wollen:

H Ulrich, ein geschickter Mann, der unsern nagenden Hunger nicht ahnte, erboth sich sogleich uns die Merkwürdigkeiten des Stiftes zu zeigen — da wir doch einen Semmelschmarrn oder sonst ein Gericht für den Magen bereitet, lieber als alle Kunstgebilde
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des Geistes vor uns gesehen hätten. Wir suchten unsern schreienden Hunger, der so laut war, daß ihn ein wachsames Ohr hätte vernehmen müßen, so gut als möglich zu verbergen und folgten dem guten Pater zuerst zu den Fischbehältern nach. Die nach Art der römischen Bäder gebaut, in verschiedenen Abtheilungen, Karpfen, Forellen, Hechte, nach der Größe gesondert in kristallenem Wasser gefangen halten. Wie auf den Ruf der Speiseglocke die Geistlichen zur Tafel also eilen in einem Behälter sehr große Hechte auf das Geklingel des Wärters zum Futter herbei. Jeder Behälter hat beständigen Zufluß aus Röhren die in mythologischen Statuen von weißem Marmor verborgen sind. Ein gedeckter Säulengang, an deßen Wänden viele Hirschgeweihe mit dem Namen irgend eines österreichischen Prinzen, der das Thier erlegt, sich befinden, führt rings um die Teiche und zeigt, wie die Geistlichen jederzeit nicht nur auf Nutzen, sondern auch auf Bequemlichkeit gedacht haben.
Von hier gingen wir in die Maierey und sahen wie die Butter und Rahmtöpfe von 48 braunscheckigen Kühen, welche ihr gewürzhaftes Futter aus steinernen Krippen genießen, in einen aus Stein gehauenen
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Wasserbehälter, das einen beständigen Zufluß hat, in Menge aufbewahrt werden. Hier war es, wo ich mich lebhaft meiner Kindheit und der kleinen Rahmtöpfe erinnerte, die ich damals sorgenlos mit dem besten Appetite oft ausgeleert. „Ach (dachte ich) sie ist dahin, die süße Zeit - jetzt plagt mich herbe Trockenheit!" Solche und ähnliche Gefühle mögten wohl auch das Herz meiner übrigen Begleiter erweicht haben: denn alle verließen mit einem finsteren Gesichte und wäßrigem Munde den Ort, der uns für den Augenblick alle hätte zufrieden stellen können.
Von den Milch- u Rahmtöpfen, nach denen im Weggehen sich Mancher noch umsah, kamen wir in die auf 36 000 Bände geschäzte Bibliotheck, welche nebst andern Seltenheiten auch mehrere Codizes enthält. Sie hat an Pater Ulrich, Profeßor der Welt- u Kirchengeschichte, einen wackeren Custos, der sich die Vermehrung derselben wie auch des Naturalienkabinets sehr angelegen seyn läßt. Es mögte gegen 1/2 3 Uhr seyn, als mir das Papier der Bücher schwarz und die Buchstaben, ich weiß nicht warum,
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weiß, vorkamen. Endlich verließen wir die Bibliotheck und trafen an der Treppe zu unserer aller Freude, die lange gesuchten Frauen, denen bei der Tafel eine bange Ahndung, unser Schicksal verkündigt hatte. „Haben sie schon gegessen?" fragte bei unserer Zusammenkunft Rosette „noch nicht!" tönte die wehmüthige Antwort.
Hierauf gingen wir aus dem Stiftsgebäude in Gesellschaft der Frauen und H Ulrichs, dem unsere Noth bei unsrer Verschwiegenheit noch nicht bekannt war, durch den Garten zu der ganz frei stehenden acht Stock hohen Sternwarte, deren Bau 1749 angefangen und nach zehn Jahren beendigt wurde. Auf dem Absatz der Treppe zum ersten Stock, steht die Statue des Ptolomäus aus grobem Stein gebildet, da er doch eher als manche Majestät verdient hätte, aus Marmor gebildet zu werden. Im ersten Stock ist das erste Zimmer der Entomologie gewidmet: die Samlung der Jesuiten ist nach Fabricius geordnet. Das zweite Zimmer enthält die Ornithologie; man findet hier nebst einer Sammlung Nester mit Eiern ver-
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schiedener inländischer Vögel. Auf dem Absatz der Treppe zum zweiten Stock steht aus Sandstein in Lebensgröße Ticho de Brahe gebildet. In diesem Stockwerk enthält das erste Zimmer rechts Gemählde; das zweite physikalische Instrumente und Machinen. Das dritte mechanische Modelle der im Salzkammergut bestehenden Machinen. Hier hat Fridrich u Adolpf Stetter zum erstenmal empfunden, daß der Mensch nicht nur zum bloßen Genuß geboren, sondern auch zum Leiden und Entbehren bestimmt sey, und weil drauß noch nicht gelernt, so verriethen Thränen ihre Schwäche. Pater Ulrich der dies bemerkte, erkundigte sich um die Ursache dieser Thränen und verließ uns nach eingezogener Nachricht, um auf unsern Zimmer eine Jause für die hungrigen Gäste auftragen zu laßen. Wir stiegen indeß in den dritten Stock - fanden auf der Treppe die Statue Kepplers und im ersten Zimmer Feldmeßinstrumente; das zweite diente dem Astronomen zur Wohnung, das dritte enthält eine schöne Mineraliensammlung. Im vierten Stock ist eine nicht kleine Gemählde-Sammlung; im fünften sind nebst andern
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Kleinigkeiten, viele türkische Waffen, welche bei der Belagerung Wiens erbeutet wurden. Im sechsten Stock ist Alles zu finden, was zur astronomischen Beobachtung nothwendig ist, im siebenten ist ein Zimmer für den Astronomen, und im achten die eigentliche Sternwarte.
Von den beiden Altanen des achten Stockes gegen Norden und Süden, sieht man mit Wohlgefallen in das üppige fruchtbare, von der Krems durchfloßene Thal herab. Seine schwellende Fülle erinnerte mich lebhaft an meine Leerheit und goß in die Seele mir solche Gedanken:

Vom Geräusch der Welt geschieden,
Hier in stiller Einsamkeit
Fände ich des Lebens Frieden,
Fand' ich Himmelsseeligkeit.

Keinen König wollt' ich neiden
Wohnt ein treuer Freund bei mir,
Und der Städte laute Freuden
Mißt' ich warlich gerne hier.

Nur der dritte dürft' nicht fehlen
Was das Glück vollkomen macht,
Doch wozu soll ichs erzählen?
Ich würd' nur recht ausgelacht.

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Kurz hier könnt' es mir gefallen
Und das friedlich stille Thal,
Preis' ich glücklich unter allen,
Spürt' ich nicht solche Hungerqual.

Nach einem kurzen Genuß dieser herrlichen Aussicht, eilten wir im vorgesezten Weine 1/2 5 Uhr, die Schmerzen und Plagen des vernachläßigten Magens zu ertränken, und trösteten uns damit,: durch dieses Nothfasten einige Sünden mehr abgebüßt zu haben, als jene, welche diesen Tag im Genuße wohlschmeckender Fische und herrlicher Butterkuchen, ohne Erinnerung an den gütigen Geber hingebracht. Wie die Kamele in den Wüsten Afrikas nach vieltägigem Dürsten über eine frische Quelle herfallen und selbst mit Schlägen nicht eher fort zu bringen sind, bis sie nicht ihren Durst gestillet: also tranken auch wir in durstigen Zügen, jung und alt, jeder ein Glas des trefflichsten Weines, ohne abzusetzen, hinunter - bald folgte das zweite und bei uns Erwachsenen, auch das dritte u vierte. Bei den vorgelegten Semmelschnitten dachte ich gleich „was ist das unter so

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viele?" und eh ichs gedacht, waren auch alle verschwunden, ein zweiter Teller voll, war auch bald, wie von Heuschrecken, ganz aufgezehret. - Jezt erst kehrte die Sprache und mit ihr die Fröhlichkeit wieder, und ich wäre trefflich aufgelegt gewesen, ein früher mit Pater Ulrich begonnenes Gespräch „über die angemaßten Rechte des Teufels" fortzuführen, da mir früher die Zunge am dürren Gaumen klebte. H Ulrich führte gefälligst die Frauen auch zu den Fischbehältern, und wir mit gestärkten Füßen folgten, durch die vorgetragenen Trostgründe erheitert, im Gespräche mitsamen nach. Nachdem die Fraunzimer dieß Alles gesehen, verließ uns H Ulrich, und wir gingen auf die angewiesenen Zimmer. Unter Scherz und Gespräch über das überstandene Abendtheuer des gezwungenen Fastens, verging angenehm die Zeit, bis Schlag 7 der Wärter uns in den Speisesaal zum Nachtessen führte. Ein großer mit verschiedenen Gemählden gezierter Saal umfängt die staunenden Gäste. Auf der Tafel ist in der Mitte ein klei-
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ner Springbrunnen angebracht, wo in einem darunter befindlichen Wasserbecken kleine Fische zum Vergnügen der Gäste herumschwimmen. Hier saßen wir unter Geistliche gespickt — ein Zeichen, wie nahe die Erde an den Himmel grenzt - und ließen's uns wohlschmecken. Nach aufgehobener Tafel kehrten wir auf unsere Zimmer zurück und verplauderten, nachdem die Knaben zur Ruhe gegangen, in Liebe und Freundschaft die Zeit; fanden zugleich alle, selbst die Mädchen, daß es in einem Kloster doch nicht so schlecht sey, als wir früher geglaubt, in welcher Meinung uns auch das gute Aussehen der geistlichen Herrn bestärkte. Um 10 Uhr nach abgeschloßenen Tühren ins Bett.

Sonnabend am 8ten 7ber verließen wir sämtlich um 7 Uhr das Bett und eilten von dem harmonischen Läuten der Glocken geruffen, in die mit vielem Geschmack erbaute Kirche; die sich im dritten Hofe befindet. Wie zufrieden kamen die Bewohner der Umgegend, um gemeinschaftlich mit Gebeth und Gesang den ewig guten Vater zu preisen; und vom Priester, der als Mittler zwischen Gott u Menschen am
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Hochaltar steht, den Seegen der Kirche zu enpfangen! Wohl mags wahr seyn, was das Sprichwort sagt: „unterm Krummstab ist gut wohnen" denn alles, was sich zu den ehrwürdigen Hallen des Stiftes drängte, war heiter - wenigstens ist mir unter so vielen, kein finsteres Gesicht vorgekommen. Nach der Messe kehrten wir auf unsere Zimmer zurück, tranken einen herrlichen Caffe und wußten die Frauen im Wagen nach Linz, und wir zu Fuß, gegen Gmunden zu. Bevor ich aber den gesegneten Boden des Stiftes verlaße, will ich Einiges über seine Entstehung erzählen:
Herzog Thassilo von Baiern soll dieses Kloster 777 zum Gedächtnis seines Sohnes Günther, den ein Eber hier auf der Jagd getötet, in dieser damals menschenleeren Gegend, erbaut haben.
Das Gebäude hat einen ungeheuren Umfang und drei Höfe. Es steht auf einem Berge und verbindet mit einer reinen Luft auch eine sehr schöne Aussicht, welches Alles nebst einer guten Kost dazu beiträgt, die Geistlichen freundlich und gesellig zu erhalten da sie in anderen
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Klöstern gleich Schatten oder Misantropen einherschleichen. Sie werden sich in diesem Stifte für die glücklichsten halten, wenn nur das verdammte Cölibat nie aufgekommen wäre; und sollten ja bisweilen Seufzer in diesen Mauern gehört werden, so sind sie gewiß durch den frommen Wunsch veranlaßt „die verrückten Grenzen der Natur bald wieder hergestellt und die allgemeine Freudenquelle auch für sie fließen zu sehen".
Wir gingen fröhlichen Muthes, einer durch den andern angefeuert, bis Ried, tranken hier Most — ein Getränk, welches aus Aepfeln und Birn in Oberösterreich häufig gepreßt wird.
(Moser 1982, 83-86)

Anm.: Der Text wird hier in der von Josef Moser edierten Form wiedergegeben. Einige offensichtliche Lesefehler wurden korrigiert. Zusätzliche Anmerkungen wie (! und ?) wurden entfernt. Durch einen Strich verdoppelte Konsonanten werden in Ermangelung eines entsprechenden Zeichens verdoppelt dargestellt.


Quellen und Literatur:


GEDENKBUCH der Sternwarte, Band 2, 1811 - 1828, Archiv der Sternwarte-Direktion

KRAML, P. Amand 2008: 250 Jahre Sternwarte Kremsmünster, in: Öffentliches Stiftsgymnasium Kremsmünster 151. Jahresbericht, 33-83, Thalheim

MOSER, Josef 1982: Reise ins Salzkammergut im Jahre 1821, bearbeitet und kommentiert von Josef Moser, in: Oberösterreichische Heimatblätter, Jg. 36, Heft 1/2, 81-102

MOSER, Josef 1987: Michael Traugott Müller (1799-1875), Verfasser der "Reise ins Salzkammergut" im Jahre 1821, in: Oberösterreichische Heimatblätter, Jg. 41, Heft 1, 69-75


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Letzte Änderung: 2021-09-16