Objekt des Monats

aus dem Museum der Sternwarte Kremsmünster

Jänner 2013



Anorthoscope
Größe: 30 x 23 x 8 cm,
Pappe mit bedrucktem Papier überzogen
und Schachtel aus Karton
Inv. Nr.: 12081801, 12010705
Foto: P. Amand Kraml


Plateau's Anorthoscope

Bei den Arbeiten zur neuen Katalogisierung der physikalisch-astronomischen Sammlung sind wir auf die Schachtel des Anorthoskops von Plateau gestoßen. Dass selbst die leere Dose aus Karton gleich Neugierde erregt hat, ist verständlich. Hatte doch Plateau parallel zu Simon Stampfer stroboskopische Scheiben erfunden. Wir hatten Stampfers stroboskopische Scheiben bereits in unseren Sammlungen, als P. Marian Koller von seiner Reise, die ihn zusammen mit Andreas Ettingshausen und August Kunzek im Sommer 1838 unter anderem auch nach Brüssel und Paris führte, das Anorthoskop mitbrachte. Die drei Reisenden trafen in Brüssel am 22. August Plateau persönlich und es wurden mit ihm "Versuche über die Irradiation und mit dem Anorthoskope angestellt". (Reslhuber, 217)

Plateaus Anorthoskop ist ein Gerät, bei dem eine verzerrt auf eine Scheibe gezeichnete Figur durch stroboskopische Zerlegung des Bildes als unverzerrt erscheint. Poggendorff gibt in seinen Annalen 1836 Plateaus Beschreibung auf deutsch unter Vermischte Notizen Nr. 11 wieder:
11) Anorthoskop. So nennt Hr. Plateau ein von ihm erfundenes Instrument, über welches er am 9. Jan. 1836 folgende Notiz in der Brüsseler Academie vorgelesen hat. Das Anorthoskop besteht im Wesentlichen aus: 1) Einer Reihe transparenter Scheiben, mit unförmlichen Figuren darauf. 2) Einer schwarzen Pappscheibe mit mehren Spalten. 3) Einer mechanischen Vorrichtung, enthaltend eine grosse Rolle mit doppelter Hohlkehle, die zwei kleinere, von ungleichem Durchmesser auf einer gemeinschaftlichen Axe, in Umlauf setzt. Beim Gebrauch des Instruments steckt man die schwarze Scheibe auf die vordere der kleinen Rollen (welche auf Seite der Handhabe an der grossen befindlich ist) und eine der transparenten Scheiben auf die hintere; dann beleuchtet man die letzte Scheibe von der Rückseite, stellt sich einige Fuss vom Instrument entfernt, die Augen in der Höhe der kleinen Rollen haltend, und lässt eine zweite Person die Handhabe drehen. Obwohl sich dann die transparente Scheibe in Wirklichkeit mit grosser Geschwindigkeit dreht, scheint sie doch still zu stehen, und die missgestallteten Figuren sind in vollkommen regelmässige umgewandelt. Auch diese Art von Illusionen beruht auf der Andauer der Eindrücke auf die Netzhaut, jenem Phänomen, das auf dem ersten Blick so wenig interessant erscheint, aber doch so fruchtbar ist an sonderbaren und, wie Hrn. Wheatstone’s Versuche über die Geschwindigkeit der Elektricität gezeigt haben, selbst an nützlichen Anwendungen. Gesetzt nämlich, es sey nur Eine Spalte in der schwarzen Scheibe; während sie und die transparente Figur hinter ihr sich dreht, kommen alle Theile dieser Figur successiv der Spalte gegenüber, und es erfolgt daraus offenbar für das Auge eine Reihe continuirlicher, neben einander liegender Eindrücke, die durch ihre Andauer auf der Netzhaut unter sich verknüpft werden. So erzeugt sich nach jedem Umlauf der Spalte eine continuirliche Figur, die mit der transparenten in gewisser Beziehung steht. Wenn nun die Spalte nach jedem ganzen Umlauf in dieselbe Lage gegen die transparente Figur gelangt, so erzeugen alle Umläufe durchaus einerlei Resultate, die sich auf der Netzhaut überdecken und folglich die Empfindung einer beständigen und unbeweglichen Figur hervorbringen. Drehte sich die transparente Scheibe nicht, sondern bloss die Spalte, so würde man offenbar bloss die auf die Scheibe gezeichnete Figur erblicken, nur ein wenig an Helligkeit vermindert; allein so wie die transparente Scheibe sich dreht, kann das Resultat begreiflicherweise nicht mehr dasselbe seyn, und wenn man regelmässige Figuren erblicken soll, müssen die Figuren auf der transparenten Scheibe missgestaltet gezeichnet werden, nach einem Gesetze, welches abhängt von dem Geschwindigkeitsverhältniss beider Scheiben und von der relativen Richtung ihrer Bewegungen. Eine Vervielfältigung der Spalten in der schwarzen Scheibe hat keine andere Wirkung, als dass sie die Helligkeit des resultirenden Bildes erhöht. Die Anzahl und die Lage dieser Spalten sind so zu bestimmen, dass die von ihnen erzeugten Figuren einander genau überdecken. Sind endlich die Bewegungen entgegengesetzt, wie bei dem gegenwärtig zu Kauf habenden Anorthoskopen, so wird sich die unförmliche Figur, indem sie regelmässig wird, zugleich vervielfältigen. Durch ein wenig Nachdenken ist nämlich einzusehen, dass dann alle Punkte der transparenten Scheibe hinter der Spalte hinweggegangen seyn werden, ehe diese einen Theil, z. B. ein Fünftel ihres Umlaufs vollendet hat, so dass schon bei diesem Fünftel eine Wirkung entsteht, wie zuvor bei einem ganzen Umlauf. Daraus entsteht dann eine Reihe regelmässiger Figuren, die symmetrisch um den Mittelpunkt liegen. P. (L'Institut, No. 148 p. 79) 1).

1) Wie Hr. Plateau bei der Erfindung des Stroboskops mit Hrn. Prof. Stampfer zusammengetroffen ist (Annalen, Bd. XXXII S. 646), so hat er sonderbarerweise auch bei dem Anorthoskop einen Nebenbuhler, nämlich Hrn. Ch. Tomlinson in Salisbury, der im Januarheft 1836 von Thomson's Records of General Science (Vol. III p. 41) einen vom 18. Nov. 1835 datirten Aufsatz mit der Beschreibung eines ganz ähnlichen Instruments bekannt macht. Doch, um Hrn. Plateau nicht Unrecht zu thun, ist wohl zu bemerken, dass Hr. Tomlinson keine transparente Scheibe mit mißgestalteten Figuren, sondern eine undurchsichtige, mit schwarzen und rothen Sectoren bemalte Scheibe während sie in Rotation begriffen war, durch eine mit Spalten versehene und ebenfalls rotirende Scheibe betrachtete, wo dann die Sectoren stillstehend und gekrümmt erschienen. Auf diese Vorrichtung gerieth Hr. T. durch die zuerst von Wheatstone beobachtete Thatsache, dass ein rotirender Gegenstand bei momentaner Beleuchtung (durch einen elektrischen Funken) still zu stehen scheint (Ann. XXXIII S. 508), eine Thatsache, die Prof. Dove später recht glücklich zum Erweise der Discontinuitat der Blitze benutzt hat (Ann. Bd. XXXV S. 379). Als instantes Beleuchtungsmittel der im Dunkeln rotirenden Scheibe wandte Hr. T. an: Blasen von selbstentzündlichem Phosphorwasserstoffgas, entwickelt aus einem Gemeng von Phosphorkalk und Wasser, Verpuffung von Schiesspulver oder Knallpulver (letzteres durch einen Hammerschlag), oder das intermittirende Licht, welches eine Lampe durch die Spalten einer vor ihr in Rotation gesetzten Scheibe fortsendet. Diess letzte Mittel führte ihn auf die Vorrichtung, welche im Wesentlichen mit dem Anorthoskop übereinkommt. (Poggendorff, 1836, 464-467)

P. Sigmund Fellöcker beschreibt das Anorthoskop in seiner Versuchsbeschreibung zum Physikalischen Kabinett der Sternwarte:

Das Anorthoskop,

erfunden von Plateau (Paris 1836), brachte P. Marian Koller 1838 von seiner Pariser-Reise mit nach Hause.
Es befindet sich dabei folgende Gebrauchsanweisung (hier in deutscher Uibersetzung):
Die Erscheinungen am Anorthoskop müssen des Abends bei Lampenlicht beobachtet werden.
1.) Man schraubt das Instrument auf das Fussbrett, wobei man Acht gibt, dass man nicht an die Schnüre ankömmt.
2.) Man schraubt die Schraubenmuttern der zwei messingenen Rollen ab.
3.) Man befestigt an der grösseren derselben mittels der einen Schraubenmutter die schwarze Scheibe mit den 4 Spalten.
4.) Man befestigt eben so an der Kleineren eine der transparenten Scheiben, auf welchen verschiedene Figuren dargestellt sind. Die colorirte Seite muss gegen die schwarze Scheibe gewendet sein.
5.) Die transparente Scheibe erleuchtet man von rückwärts stark durch eine Lampe mit Zug * (meine Moderateurlampe wirkt ganz gut), die Flamme in der Höhe der Rolen von Messing und in einer kleinen Entfernung von der Scheibe.
*

Eine genauere Beschreibung des Instrumentes findet sich in Poggendorff's Annalen der Physik 37. (113.) Band 1836 Seite 464-466
Schnurführung
Die Schnurführung
An unserm Instrument hat die grosse hölzerne Rolle mit doppelter Hohlkehle einen Durchmesser von 4 1/2 Zoll, die grössere messingene Rolle, an welche die schwarze Pappscheibe mit den 4 Spalten kommt, einen Durchmesser von 15 Linien, die Kleinere an welche die transparente Scheibe mit den unförmlichen Figuren kommt, von 6 Linien. Um diese kleine Rolle ist die Schnur so geschlungen, dass ihre Bewegung der der grösseren entgegengesetzt ist.
Die hübscheren transparenten Scheiben sind:
1. Ballettaenzer und -Taenzerin;
2. fünf Pferde hinter einander;
3. tanzende, stehende, laufende Figuren;
4. Dame, mit Sonnenschirm;
5. Blumenkranz;
6. Frau mit Kind;
7. Mosaikboden;
8. Blumenvasen und Genien;
9. Kartenblaetter;
noch 3 andere sind minder deutlich.
NB. Als Fundamentalversuch könnte vielleicht der S. 41 beschriebene dienen.
Die Originalbeschreibung französisch - siehe in dem Fascikel: Gedruckte und handschriftliche Erlaeuterungen über physikalische Apparate.
(Fellöcker, 33-34)


Quellen und Literatur:


FELLÖCKER, P. Sigmund o. J.: Physikal. Cabinet. Instrumente und Experimente, Archiv der Sternwarte

KALKOFEN, Hermann 2000: Anorthoskop (PLATEAU 1836) und anorthoskopische Erscheinungen

PLATEAU, Joseph Antoine 1832: Sur un nouveau genre d'illusion, d'optique, Correspondece mathematique et physique de l'observatoire Bruxelles, 7. Jg. 365-368

PLATEAU, J., 1949: VIII. Ueber eine neue sonderbare Anwendung des Verweilens der Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie, Bd. 78 (154), Leipzig, 563-567

PLATEAU, J., 1950: VI. Zweite Notiz über neue sonderbare Anwendungen des Verweilens der Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie, Bd. 79 (155), Leipzig, 269-290

PLATEAU, J., 1950: VIII. Vierte Notiz über neue, sonderbare Anwendungen des Verweilens der Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie, Bd. 80 (156), Leipzig, 287-292

POGGENDORFF, J. C., 1834: LVIII. Stroboskopische Scheiben, Phänakistikop, Phantasmaskop, in: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 32 (108), Leipzig, 636-649

POGGENDORFF, J. C., 1836: 11) Anorthoskop., in: Annalen der Physik und Chemie, Bd 37 (113) Leipzig, 464-467

RESLHUBER, Augustin, 1867: Marian (Wolfgang) Koller, in: Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 17. Jg., Wien, 201-239



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Letzte Änderung: 2021-09-16