aus dem Museum der Sternwarte Kremsmünster
Jänner 2013
inventé
PAR MR PLATEAU
1836.
PARIS.
chez Susse, 31, Place de la Bourse.
Foto: P. Amand Kraml
Bei den Arbeiten zur neuen Katalogisierung der physikalisch-astronomischen Sammlung sind wir auf die Schachtel des Anorthoskops von Plateau gestoßen. Dass selbst die leere Dose aus Karton gleich Neugierde erregt hat, ist verständlich. Hatte doch Plateau parallel zu Simon Stampfer stroboskopische Scheiben erfunden. Wir hatten Stampfers stroboskopische Scheiben bereits in unseren Sammlungen, als P. Marian Koller von seiner Reise, die ihn zusammen mit Andreas Ettingshausen und August Kunzek im Sommer 1838 unter anderem auch nach Brüssel und Paris führte, das Anorthoskop mitbrachte. Die drei Reisenden trafen in Brüssel am 22. August Plateau persönlich und es wurden mit ihm "Versuche über die Irradiation und mit dem Anorthoskope angestellt". (Reslhuber, 217)
Plateaus Anorthoskop ist ein Gerät, bei dem eine verzerrt auf eine Scheibe gezeichnete Figur durch
stroboskopische Zerlegung des Bildes als unverzerrt erscheint.
Poggendorff gibt in seinen Annalen 1836 Plateaus Beschreibung auf deutsch unter Vermischte Notizen
Nr. 11 wieder:
11) Anorthoskop. So nennt Hr. Plateau ein von ihm erfundenes Instrument, über
welches er am 9. Jan. 1836
folgende Notiz in der Brüsseler Academie vorgelesen hat. Das Anorthoskop besteht im Wesentlichen aus:
1) Einer Reihe transparenter Scheiben, mit unförmlichen Figuren darauf. 2) Einer schwarzen Pappscheibe
mit mehren Spalten. 3) Einer mechanischen Vorrichtung, enthaltend eine grosse Rolle mit doppelter
Hohlkehle, die zwei kleinere, von ungleichem Durchmesser auf einer gemeinschaftlichen Axe, in Umlauf
setzt. Beim Gebrauch des Instruments steckt man die schwarze Scheibe auf die vordere der kleinen Rollen
(welche auf Seite der Handhabe an der grossen befindlich ist) und eine der transparenten Scheiben auf
die hintere; dann beleuchtet man die letzte Scheibe von der Rückseite, stellt sich einige
Fuss vom Instrument entfernt, die Augen in der Höhe der kleinen Rollen haltend, und lässt eine
zweite Person die Handhabe drehen. Obwohl sich dann die transparente Scheibe in Wirklichkeit mit
grosser Geschwindigkeit dreht, scheint sie doch still zu stehen, und die missgestallteten Figuren
sind in vollkommen regelmässige umgewandelt. Auch diese Art von Illusionen beruht auf der Andauer
der Eindrücke auf die Netzhaut, jenem Phänomen, das auf dem ersten Blick so wenig interessant
erscheint, aber doch so fruchtbar ist an sonderbaren und, wie Hrn. Wheatstone’s Versuche über
die Geschwindigkeit der Elektricität gezeigt haben, selbst an nützlichen Anwendungen.
Gesetzt nämlich,
es sey nur Eine Spalte in der schwarzen Scheibe; während sie und die transparente Figur hinter ihr
sich dreht, kommen alle Theile dieser Figur successiv der Spalte gegenüber, und es erfolgt daraus
offenbar für das Auge eine Reihe continuirlicher, neben einander liegender Eindrücke, die durch
ihre Andauer auf der Netzhaut unter sich verknüpft werden. So erzeugt sich nach jedem Umlauf der
Spalte eine continuirliche Figur, die mit der transparenten in gewisser Beziehung steht. Wenn nun
die Spalte nach jedem ganzen Umlauf in dieselbe Lage gegen die transparente Figur gelangt, so
erzeugen alle Umläufe durchaus einerlei Resultate, die sich auf der Netzhaut überdecken und
folglich die Empfindung einer beständigen und unbeweglichen Figur hervorbringen. Drehte sich
die transparente Scheibe nicht, sondern bloss die Spalte, so würde man offenbar bloss die auf
die Scheibe gezeichnete Figur erblicken, nur ein wenig an Helligkeit vermindert; allein so
wie die transparente Scheibe sich dreht, kann das Resultat begreiflicherweise nicht mehr
dasselbe seyn, und wenn man regelmässige Figuren erblicken soll, müssen die Figuren auf der
transparenten Scheibe missgestaltet gezeichnet werden, nach einem Gesetze, welches abhängt
von dem Geschwindigkeitsverhältniss beider Scheiben und von der relativen
Richtung ihrer Bewegungen. Eine Vervielfältigung der Spalten in der schwarzen Scheibe
hat keine andere Wirkung, als dass sie die Helligkeit des resultirenden Bildes erhöht.
Die Anzahl und die Lage dieser Spalten sind so zu bestimmen, dass die von ihnen erzeugten
Figuren einander genau überdecken. Sind endlich die Bewegungen entgegengesetzt, wie bei
dem gegenwärtig zu Kauf habenden Anorthoskopen, so wird sich die unförmliche Figur, indem
sie regelmässig wird, zugleich vervielfältigen. Durch ein wenig Nachdenken ist nämlich
einzusehen, dass dann alle Punkte der transparenten Scheibe hinter der Spalte hinweggegangen
seyn werden, ehe diese einen Theil, z. B. ein Fünftel ihres Umlaufs vollendet hat, so dass
schon bei diesem Fünftel eine Wirkung entsteht, wie zuvor bei einem ganzen Umlauf. Daraus
entsteht dann eine Reihe regelmässiger Figuren, die symmetrisch um den Mittelpunkt liegen. P.
(L'Institut, No. 148 p. 79) 1).
1) Wie Hr. Plateau bei der Erfindung des Stroboskops mit Hrn. Prof. Stampfer zusammengetroffen ist (Annalen, Bd. XXXII S. 646), so hat er sonderbarerweise auch bei dem Anorthoskop einen Nebenbuhler, nämlich Hrn. Ch. Tomlinson in Salisbury, der im Januarheft 1836 von Thomson's Records of General Science (Vol. III p. 41) einen vom 18. Nov. 1835 datirten Aufsatz mit der Beschreibung eines ganz ähnlichen Instruments bekannt macht. Doch, um Hrn. Plateau nicht Unrecht zu thun, ist wohl zu bemerken, dass Hr. Tomlinson keine transparente Scheibe mit mißgestalteten Figuren, sondern eine undurchsichtige, mit schwarzen und rothen Sectoren bemalte Scheibe während sie in Rotation begriffen war, durch eine mit Spalten versehene und ebenfalls rotirende Scheibe betrachtete, wo dann die Sectoren stillstehend und gekrümmt erschienen. Auf diese Vorrichtung gerieth Hr. T. durch die zuerst von Wheatstone beobachtete Thatsache, dass ein rotirender Gegenstand bei momentaner Beleuchtung (durch einen elektrischen Funken) still zu stehen scheint (Ann. XXXIII S. 508), eine Thatsache, die Prof. Dove später recht glücklich zum Erweise der Discontinuitat der Blitze benutzt hat (Ann. Bd. XXXV S. 379). Als instantes Beleuchtungsmittel der im Dunkeln rotirenden Scheibe wandte Hr. T. an: Blasen von selbstentzündlichem Phosphorwasserstoffgas, entwickelt aus einem Gemeng von Phosphorkalk und Wasser, Verpuffung von Schiesspulver oder Knallpulver (letzteres durch einen Hammerschlag), oder das intermittirende Licht, welches eine Lampe durch die Spalten einer vor ihr in Rotation gesetzten Scheibe fortsendet. Diess letzte Mittel führte ihn auf die Vorrichtung, welche im Wesentlichen mit dem Anorthoskop übereinkommt. (Poggendorff, 1836, 464-467)
P. Sigmund Fellöcker beschreibt das Anorthoskop in seiner Versuchsbeschreibung zum Physikalischen Kabinett der Sternwarte:
FELLÖCKER, P. Sigmund o. J.: Physikal. Cabinet. Instrumente und Experimente,
Archiv der Sternwarte
KALKOFEN, Hermann 2000: Anorthoskop (PLATEAU 1836) und anorthoskopische Erscheinungen
PLATEAU, Joseph Antoine 1832: Sur un nouveau genre d'illusion, d'optique, Correspondece
mathematique et physique de l'observatoire Bruxelles, 7. Jg. 365-368
PLATEAU, J., 1949: VIII. Ueber eine neue sonderbare Anwendung des Verweilens der
Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie,
Bd. 78 (154), Leipzig, 563-567
PLATEAU, J., 1950: VI. Zweite Notiz über neue sonderbare Anwendungen des
Verweilens der Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie,
Bd. 79 (155), Leipzig, 269-290
PLATEAU, J., 1950: VIII. Vierte Notiz über neue, sonderbare Anwendungen des
Verweilens der Eindrücke auf die Netzhaut, in: J. C. Poggendorff, Annalen der Physik und Chemie,
Bd. 80 (156), Leipzig, 287-292
POGGENDORFF, J. C., 1834: LVIII. Stroboskopische Scheiben, Phänakistikop, Phantasmaskop, in:
Annalen der Physik und Chemie, Bd. 32 (108), Leipzig, 636-649
POGGENDORFF, J. C., 1836: 11) Anorthoskop., in: Annalen der Physik und Chemie, Bd 37 (113)
Leipzig, 464-467
RESLHUBER, Augustin, 1867: Marian (Wolfgang) Koller, in: Almanach der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften, 17. Jg., Wien, 201-239